Ins Gespräch kommen – im Gespräch bleiben – Perspektiven entwickeln

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Vor fünf Jahren begann ein ganz besonderes Kooperationsprojekt von PRIF und dem Auswärtigen Amt (AA), „Perspektiven der Rüstungskontrolle“. Vier PRIF-Doktorand*innen starteten unter Finanzierung des AA ihre Dissertationsprojekte im Themenbereich Rüstungskontrolle. Der Name ist Programm und dokumentiert die Idee: Der kriselnden Rüstungskontrolle entgegentreten mit der Generierung von Nachwuchs, Wissen und Perspektiven – und das durch den Austausch zwischen politischer Praxis und Wissenschaft. 2024 endete das Programm für die erste Riege der Doktorand*innen. Intensive Forschung, Feldforschungsaufenthalte und mindestens eine dreimonatige Hospitanz im AA liegen hinter ihnen.
Die Blütezeit der Rüstungskontrolle liegt weit in der Vergangenheit, die Unterstützung für zahlreiche multilaterale Abkommen schwindet zusehends. Die Zeichen stehen auf Konfrontation und Polarisierung – und vor allem auf Aufrüstung.
Diese Entwicklung ist problematisch und gefährlich. Denn in der Rüstungskontrolle geht es nicht nur um Abrüstung und Nichtverbreitung sondern auch um viele weitere Themen: um die Einhegung neuer Waffentechnologien, um Vertrauensbildung, Deeskalationsstrategien und nicht zuletzt darum, Verhandlungs- und Gesprächskanäle zwischen Konfliktparteien offen zu halten und zu pflegen. Im Gespräch bleiben, auch in höchst konfrontativen Zeiten, und das nicht nur auf Außenminister*innenebene, sondern gerade auch auf einer Arbeitsebene mit Diplomat*innen und Referent*innen, selbst wenn konkrete Ergebnisse und Einigungen nur langsam, äußerst mühsam und manchmal gar nicht zustande kommen.
Aber sehr interessant zu erleben: Wie werden Entscheidungen getroffen, welche institutionellen Prozesse gibt es, warum macht Deutschland manche Sachen in der Rüstungskontrolle auf eine bestimmte Art und Weise, die andere Staaten vielleicht anders machen? Wie sind Verantwortungsketten, wie ist die Interaktion zwischen AA und Verteidigungsministerium? Wie koordinieren sie sich in diesem Bereich? Auf welche Expertise wird zurückgegriffen, wer wird eingeladen zu Workshops?
Anna-Katharina Ferl
Die Forschung zu Rüstungskontrolle und Abrüstung bleibt also notwendig. Und sie ist auch mit neuen Forschungsfeldern gefragt. Künstliche Intelligenz in der Waffentechnik und Fragen der Cybersicherheit machen neue Formen der Rüstungskontrolle und Abrüstung notwendig. Rüstungskontrollpolitische Fragen müssen an neue technologische, politische und normative Entwicklungen angepasst werden, normative und rechtliche Fragen aus früheren Verhandlungsprozessen können Anknüpfungspunkte bereitstellen für künftige Verhandlungen oder Strategiepapiere. Politische Praxis bedarf Expertise und Erfahrung, Wissenschaft braucht Forscher*innen, die sich auf das Feld der Rüstungskontrolle einlassen und Forschungsfelder weiterentwickeln.
Umso wichtiger, dass man Nachwuchs fördert, Anreize für die Forschung schafft und auch in der Politik Expertise bewahrt und aufbaut. Das gemeinsame Promotionsprogramm von PRIF und dem Auswärtigen Amt möchte dazu einen Beitrag leisten und schickte deshalb nach einem gemeinsamen Bewerbungsverfahren 2019 vier Nachwuchswissenschaftler*innen an den Start.
Ins Gespräch kommen, im Gespräch bleiben
Die vier PRIF-AA-Doktorand*innen haben in sehr unterschiedlichen Bereichen der Rüstungskontrolle promoviert und alle mindestens eine Hospitanz im Auswärtigen Amt absolviert.
Das war schon spannend zu sehen, wie eine Excel-Tabelle entsteht mit ganz konkreten Anweisungen, die dann weitergegeben wird. Das war sozusagen die Software des Abstimmungsverhalten der Bundesrepublik bei den UN.
Sascha Hach
Beide Seiten sollten profitieren: Die Promovierenden brachten ihre Expertise ein und erhielten im Rahmen ihrer Hospitationen Einblicke in die praktische Umsetzung von Rüstungskontrolle und internationaler Kooperation. Gleichzeitig sollte für die Zukunft Expertise gesichert werden, sowohl an den Forschungsinstitutionen als auch in der Politik und in der Gesellschaft.
Grundlagenforschung, innovative Ansätze und Perspektiven zu entwickeln, Erfahrungen aus historischem Wissen auszuwerten, das ist der wichtige Beitrag der Forschung zur Rüstungskontrolle, der im optimalen Fall politische Aushandlungsprozesse und die Entwicklung von politischen Strategien bereichert. In ihren Hospitanzen konnten die vier Doktorand*innen nun das politische Tagesgeschäft, die Verhandlungsarbeit oder die Umsetzung von politischen Strategien begleiten, unterstützen und mit organisieren. Das verschafft Einblicke, wie politische Entscheidungen vorbereitet werden und wie politische Abläufe und Abstimmungsprozesse funktionieren. Und hat der Transfer von Wissen in beide Richtungen geklappt?
Auf Jana Baldus, die in ihrer ersten Hospitationsphase in Berlin eine Konferenz im Rahmen der Stockholm-Initiative inhaltlich vorbereitet hatte, wartete in ihrer zweiten Hospitanz eine noch stärker fordernde Aufgabe. Sie reiste als Expertin und Teil der deutschen Delegation zur Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) nach New York. Dort nahm sie einen Monat lang an der kompletten Überprüfungskonferenz teil. Der deutsche Delegationsleiter, gleichzeitig der deutsche Abrüstungsbotschafter in Genf, wies sie in die diplomatischen Feinheiten ein und im Delegationscafé und während der Sitzungen konnte sie selbst einiges von der Chemie dieser internationalen Konferenz beobachten. Für ihre Dissertation analysierte sie Dokumente aus dem NVV seit 1995 und konnte mit diesem historischen Blick ihren Delegationskolleg*innen gute Inputs geben, zum Beispiel, wer welches Thema wann schon einmal besetzt hatte.
Der Einblick in interne Aushandlungsprozesse, die Genese deutscher Positionen, was Deutschland in Verhandlungen priorisiert, auf welche Aspekte besonders Wert gelegt wird und wie sie dann umgesetzt werden – das war auch für Anna-Katharina Ferl eine spannende Erfahrung. Sie hospitierte im OR10 („Konventionelle Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauens-und Sicherheitsbildende Maßnahmen weltweit; präventive Rüstungskontrolle“) und sollte eigentlich mit dem Referat zu Abrüstungsgesprächen nach Genf reisen. Allerdings mussten wegen der COVID-19-Pandemie Gespräche vor Ort immer wieder verschoben werden und fanden schließlich digital statt. So konnte sie leider keine Konferenzluft schnuppern, aber die deutsche Vorbereitung und Arbeitsweise mitgestalten und zu autonomen Waffensystemen, ihrem Fachgebiet, zuarbeiten.
Ich habe ungeheuren Respekt vor dem Einsatz der Diplomat*innen bekommen. Sie haben unvorstellbare Arbeitszeiten. In der letzten Woche der Konferenz, wenn dann wirklich am Abschlussdokument gearbeitet wird, arbeiten sie teilweise bis 3 Uhr morgens am Entwurf und um 6 Uhr kommt dann der neue, an dem wieder gearbeitet werden muss.
Jana Baldus
Während ihrer Hospitanz organisierte das Referat eine Konferenz im Rahmen der Reihe „Rethinking Arms Control“, die seinerzeit Heiko Maas initiiert hatte, um Rüstungskontrolle mit neuen Impulsen zu bereichern. Sie arbeitete an der Organisation und an der konzeptionellen Planung von verschiedenen Panels und Workshops. Zurück in Frankfurt organisierte sie noch einen weiteren Workshop für das AA für internationale Teilnehmer*innen aus der Wissenschaft und Diplomat*innen. Thema waren Brain-Computer Interfaces, also die Gehirn-Computerschnittstellen, d. h. es wurde diskutiert, wie die Zeit zwischen dem menschlichen Denken und der Eingabe in den Computer verkürzt werden kann. Das ist relevant für die autonome Gefechtsführung und zur besseren Integration von KI in militärische Operationen, da die Schnittstelle Mensch-Computer immer noch der langsamste Teil ist.
Auch Matthias Schwarz verbrachte seine Hospitanz im OR10 und sieht die Erfahrung der politischen Praxis als bereichernd und interessant. Er beschäftigt sich in seiner Dissertation mit Rüstungskontrollprogrammen und -praktiken für konventionelle Waffen in Kenia und Nigeria. Deutschland gehört zu den Ländern, die die meisten dieser Programme finanzieren. Diese zielen z. B. darauf ab, die Waffen des Militärs zu markieren oder bestimmte Software zur Rückerkennung zu finanzieren. Oder es geht darum, eine Polizeistation so auszustatten, dass man nicht so leicht an die dort gelagerten Waffen herankommen kann. Eine sehr technische Herangehensweise an Rüstungskontrolle, die vor allem auf Kontrolle abzielt, weniger auf die Ursachen von Gewalt und Bewaffnung.
Während seines Aufenthalts in Berlin konnte er die Dynamiken der Projektzyklen direkt mitverfolgen: wie die Projekte im AA konzipiert werden, welche Logiken dahinterstecken, wie finanziert wird, wie mit den Implementierungsorganisationen zusammengearbeitet wird, wie die Projekte in Kenia oder Nigeria umgesetzt und schließlich wieder in Berlin evaluiert und Empfehlungen erarbeitet werden. Dieser Kreislauf läuft oft über viele Jahre. Der Austausch mit den Kolleg*innen im Referat klappte sehr gut. Auch wenn die tatsächliche Umsetzung von politischen Prozessen abhängt, hat er beratend unterstützt, wie konventionelle Rüstungskontrolle auf Basis seiner Fallstudien weiterentwickelt werden kann. Diese Expertise konnte er auch während seiner zweiten Hospitanz in Genf bei der ständigen Vertretung der Abrüstungskonferenz der Bundesrepublik einbringen.
Auch Sascha Hach wurde direkt in die internen Abläufe von Absprachen und in die Abstimmungsprozesse zwischen den verschiedenen Ministerien mit eingebunden. Zur Vorbereitung der Überprüfungskonferenz für den NVV fanden einige Konsultationen mit Staaten statt, mit denen Deutschland im NVV zusammenarbeitet. Diese bilateralen und multilateralen Konsultationen unterstützte er in der Konzeption und in der Nachbereitung. Auch wirkte er bei den Abstimmungsvorbereitungen für das Erste Komitee der UN-Generalversammlung mit. Das heißt, er untersuchte, wie sich Deutschland bei den verschiedenen Resolutionen, die dort verhandelt wurden, positionieren wird, vermittelte diese Informationen weiter, unterstützte die Kommunikation zwischen Hauptstadt und der deutschen UN-Dépendance in New York. Eine weitere Aufgabe im Rahmen seiner Hospitanz war die Mitarbeit bei einem Entwurf zur Fortsetzung der Stockholm-Initiative in Vorbereitung eines High-Level-Meetings in Jordanien.
Den Austausch mit den Kolleg*innen vom AA bewerten alle als sehr positiv, wertschätzend und bereichernd. Manchmal hätten sie sich gewünscht, noch mehr innovative Ansätze und Perspektiven einbringen bzw. diskutieren zu können. Die politische Arbeit ist oft sehr kleinteilig, das AA steckt in seinem Betriebsmodus, Dossiers müssen bearbeitet, Termine vorbereitet werden. Das Arbeitspensum ist enorm.
Und was jetzt?
Die Dissertationen sind fast alle abgeschlossen, das Programm beendet, die Nachwuchswissenschaftler*innen konnten einiges mitnehmen für ihre Forschung, die Mitarbeiter*innen im Auswärtigen Amt konnten von der wissenschaftlichen Expertise, neuen Ideen und Inputs profitieren. Bleibt noch die Frage, ob auch die Hoffnung erfüllt wurde, Nachwuchs zu generieren für die Rüstungskontrolle. Die Bilanz kann sich durchaus sehen lassen: Jana Baldus arbeitet jetzt bei einem Think Tank mit Sitz in London als Referentin für nukleare Rüstungskontrolle. Damit arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft. Anna-Katharina Ferl ist Postdoktorandin am Center for International Security and Cooperation, ein universitäres Forschungsinstitut an der Stanford University. Dort wird sie nicht mehr nur den Rüstungskontrollaspekt bearbeiten, sondern erforschen, wie KI in militärische Entscheidungsfindungsprozesse integriert wird und was das für internationale Sicherheit bedeutet.
Man bekommt ein Verständnis dafür, wie Prozesse ablaufen, das ist immer sinnvoll. Man entwickelt ein holistisches Verständnis für die Materie, mit der man sich beschäftigt.
Matthias Schwarz
Matthias Schwarz übernimmt die Regionalkoordination für Subsahara-Afrika am „Kompetenzzentrum internationale Wissenschaftskooperation“ des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Dort kann er nicht nur seine Regionalexpertise einbringen, sondern auch seine Kenntnisse aus der Rüstungskontrolle zu Dual-Use-Gütern, also zu Technologien, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können.
Sascha Hach bleibt dem PRIF erhalten. Er arbeitet im Projekt „PATTERN: How Does the Past Matter? Der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine und der Kalte Krieg“ und koordiniert von Seiten des PRIF im internationalen Konsortium das ACONA-Projekt, ein hochkarätiges Projekt, das Diplomat*innen, Militärangehörige und Think Tanker in der Mitte ihrer Karriere aus aller Welt zusammenbringt.
2025 haben zwei neue Doktorand*innen ihre Dissertation im Rahmen des Projekts begonnen. Man darf gespannt sein, was sie in vier Jahren zu erzählen haben. (kha)

Die Arms Control Negotiation Academy (ACONA)
ACONA ist ein 12-monatiges, hochrangiges Weiterbildungsprogramm für aufstrebende internationale Sicherheitsexpert*innen und -praktiker*innen, die in einem kompetitiven Bewerbungsverfahren ausgewählt werden.
ACONA ist einer der wenigen Orte auf der Welt, an dem junge Wissenschaftler*innen, Diplomat*innen und Entscheidungsträger*innen aus allen Kontinenten – einschließlich der USA, Europa, Russland, China und dem globalen Süden – persönlich zusammentreffen, voneinander lernen und zusammenarbeiten können. Ziel ist es, eine epistemische Gemeinschaft aufzubauen, welche den Bereich der Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Abrüstung in die Zukunft führen kann.
In einer zunehmend gefährlichen und fragmentierten Welt streben die Verantwortlichen danach, ACONA als weltweit führende Innovationsstätte in der kooperativen Sicherheit über geopolitische Konfliktlinien hinweg zu etablieren.