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Review

PRIF Jahresbericht 2024Junge Weltbürger*innen mit Ideen im Gepäck

Global House of Young Voices

Junge Weltbürger*innen mit Ideen im Gepäck

Stilisiertes Foto von einem Raum voller sitzender Personen. Eine Person in ihrer Mitte steht und hat ein Mikrofon in der Hand. Die sitzenden Personen blicken auf die stehende Person.

Foto: PRIF

Sie sind aus 13 Städten, 11 Ländern und von 3 Kontinenten zusammengekommen: Die Delegierten des Global House of Young Voices. Auf dem einwöchigen internationalen Summit vom 13.–17. Mai 2024 diskutierten sie in einem multiperspektivischen Setting politische Fragen, sprachen über gemeinsame Herausforderungen und knüpften Kontakte mit jungen Menschen aus aller Welt.

Grinsend stehen Stephen und Ivan vor dem Massif Central in der Frankfurter Innenstadt. Aus der offenen Doppeltür schallt Musik, am Eingang steht eine Gruppe junger Menschen um einen Stehtisch herum ins Gespräch vertieft. Stephen und Ivan drehen gerade ein kurzes Video für Instagram: „Das hier könnte wirklich der Anfang von etwas Tollem sein,“ schwärmt Ivan, „wir haben schon Freundschaften geschlossen und uns gut vernetzt und so viel gelernt.“ Stephen nickt und fügt hinzu: „Die Tage haben mir richtig Energie gegeben und mich inspiriert, mich weiter für die Interessen junger Menschen in Toronto stark zu machen.“ Stephen ist Mitglied des Toronto Youth Cabinet und setzt sich für die Interessen und Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen in Toronto ein. Gemeinsam mit 50 weiteren Jugendlichen ist er in der Woche vom 13.–17. Mai 2024 nach Frankfurt gekommen, um am Global House of Young Voices Summit teilzunehmen.

Neben der Frankfurter Delegation sind die Delegierten aus 12 verschiedenen Partnerstädten angereist – darunter Birmingham, Philadelphia und Yokohama. Bei strahlendem Sonnenschein begrüßen die Organisator*innen Tina Cramer und Stefan Kroll die Teilnehmenden am 13. Mai 2024 in der Frankfurter Paulskirche und stimmen die Delegierten auf die anstehende Woche ein: In Workshops und gemeinsamen Plenarsitzungen werden sie miteinander Herausforderungen diskutieren, die jungen Menschen global begegnen.

Das Global House of Young Voices fand im Rahmen des „Netzwerk Paulskirche“ anlässlich des 175-jährigen Paulskirchenjubiläums statt. Hier versammelte sich ab Mai 1848 die Nationalversammlung und verabschiedete die erste demokratische Verfassung in Deutschland. Dieses Jubiläum war jedoch nicht nur Anlass, die Geschichte der Demokratie zu feiern, sondern auch, in die Zukunft zu blicken und die Frage zu stellen: Wie sieht die Demokratie von morgen aus? Und wie können junge Menschen ihre Zukunft selbstbestimmt mitgestalten?

Gemeinsam das Global House bauen

Herzstück des Projektes war deshalb der partizipative Ansatz: Um Demokratie und Mitgestaltung als Angelegenheit von jungen Menschen erfahrbar zu machen, sollte dieser internationale Austausch zu politischen Themen von den Jugendlichen maßgeblich mitgestaltet und mitgeplant werden.

Bereits im Vorfeld des Summit fanden digitale Treffen statt, bei denen die Delegierten eigene Themenvorschläge einbrachten und die inhaltlichen Schwerpunkte für die Konferenz gemeinsam entwickelten. „Der Planungsprozess verlief in ständiger Rücksprache mit den Delegierten: nach jedem virtuellen Treffen haben wir das im Planungsteam geordnet und umgesetzt und das wiederum an die Delegierten zurückgespielt und uns Feedback eingeholt,“ erzählt Projektkoordinatorin Tina Cramer.

Sprechblase mit halbkreisförmig angeordneten bunten Punkten
Infobox

Global House of Young Voices Summit

Der einwöchige Summit „Global House of Young Voices“ wurde durch die Wissenschaftskommunikation am PRIF gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) organisiert und koordiniert. Finanziert wurde das Projekt durch die Stadt Frankfurt und die Stiftung Junge Weltbürger e. V. im Rahmen des „Netzwerk Paulskirche“.

So entstand ein inhaltliches Programm für die gemeinsame Woche in Frankfurt, das die Interessen und Perspektiven der Delegierten in den Mittelpunkt stellte und sie durch die Expertise von Wissenschaftler*innen ergänzte. Acht thematische Workshops – von psychischer Gesundheit im digitalen Zeitalter, den Auswirkungen des Klimawandels über Bildungsgerechtigkeit bis hin zur Zukunft der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – wurden von Expert*innen eingeführt und anschließend von den Teilnehmer*innen in Kleingruppen bearbeitet. Die verschiedenen Themen waren sowohl in den lokalen Kontexten der Jugendlichen von Bedeutung, aber auch auf globaler Ebene. Im gemeinsamen Austausch wurde diese Wechselwirkung zwischen lokalen Realitäten und globalen Herausforderungen sichtbar.

Was ich aus meinem Bildungsworkshop teilen möchte, ist, dass Zugang zu Bildung von verschiedenen Faktoren abhängt. In den USA sind ökonomische Ressourcen super wichtig, in z. B. Deutschland geht es mehr um kulturelles Kapital. Meistens hat man in Debatten andere Perspektiven nicht auf dem Schirm ... Austausch ist bereichernd!

Alina, Leipzig

Dabei stand jedoch nicht nur die reine Wissensvermittlung im Vordergrund. Im Anschluss an den wissenschaftlichen Input stand den Jugendlichen Zeit zur Verfügung, die Workshops selbstständig zu gestalten. Diese offene Struktur ermöglichte ihnen, in einem geschützten Raum selbstverantwortlich Schwerpunkte zu setzen, Themen zu diskutieren und die wichtigsten Aspekte festzuhalten. „Unser Ziel war es, den Jugendlichen einen Raum und Hintergrundwissen zur Verfügung zu stellen und zur selbstbestimmten Bearbeitung zu ermutigen: Macht was draus, jetzt dürft ihr diesen Raum bespielen und zu eurem machen“, fasst Tina Cramer das Konzept zusammen.

Zentral für die Konferenz war nicht nur, was besprochen wurde, sondern auch, wie die Delegierten miteinander in den Austausch traten, schließlich lebt demokratische Praxis vom Diskurs und der Fähigkeit, gewisse Unterschiede auszuhalten und trotzdem miteinander umzugehen. Allerdings kamen die jungen Delegierten aus verschiedenen Städten, Ländern und politischen Systemen und brachten unterschiedliche kulturelle Hintergründe und Erfahrungen mit. Darüber hinaus war die Arbeitssprache in den Workshops und Diskussionen Englisch – für die meisten eine Fremdsprache. Sich unter diesen Bedingungen zuzuhören, zu verstehen und auszutauschen war also durchaus voraussetzungsvoll. Die Delegierten gingen sensibel miteinander um, begegneten einander mit Offenheit und waren bereit, ihre jeweiligen Perspektiven zu wechseln. Dabei scheuten sie sich auch nicht, kontroverse Themen zu diskutieren, wie etwa die unterschiedlichen Voraussetzungen für Jugendpartizipation in den verschiedenen Ländern oder Einschränkungen demokratischer Räume, beispielsweise in Ungarn. Die Ergebnisse und Forderungen der Workshops präsentierten die Jugendlichen am letzten Konferenztag dem Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef in der Paulskirche.

Die Welt wäre ein viel friedlicherer Ort, wenn wir uns alle einfach hinsetzen und miteinander reden würden. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was ich mitnehme: dass Diplomatie funktioniert.

Ivan, Birmingham

Eingerahmt wurde das umfangreiche Programm durch Freizeitaktivitäten, um sowohl die Gastgeberstadt als auch einander besser kennenzulernen. Stadttour und Bootsrundfahrt über den Main boten den Jugendlichen die Gelegenheit, Frankfurt zu erkunden. In einem Siebdruckworkshop brachten sie dann auch ihre eigenen Städte wieder ein: Auf Taschen und T-Shirts druckten die Delegierten in Anlehnung an die Paulskirche Freiheitsmonumente aus ihren jeweiligen Städten – die Liberty Bell in Philadelphia, die Sun Yat-Sen Memorial Hall in Guanghzou oder das L.O.V.E. Monument in Mailand. Und bei der Party im Massif Central in der Frankfurter Innenstadt sorgten die Jungs aus Krakau für Stimmung und zeigten der Gruppe traditionelle polnische Tänze. Auch die Begleitpersonen, bei denen es sich teilweise um pädagogisches Personal, aber auch um Vertreter*innen der Partnerstädte handelte, nahmen am Rahmen- und Freizeitprogramm teil. Darüber hinaus besuchten sie am DIPF einen Workshop zu verschiedenen Perspektiven in der Bildungsarbeit und stärkten die Strukturen der Städtepartnerschaft durch informellen Austausch.

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Global Citizenship

Global Citizenship beschreibt die Idee, dass sich Zugehörigkeit und Rechte von Individuen nicht nur aus der nationalen Staatsbürgerschaft, sondern aus der Zugehörigkeit zur Weltgemeinschaft ergeben. Menschen sind über Staatsgrenzen hinweg miteinander verbunden und ihr Handeln auf lokaler und globaler Ebene ist wechselseitig verbunden. Das PRIF fördert Global Citizenship durch verschiedene politische Bildungsangebote. Ziel ist es, globale Perspektiven zu stärken, Wissen über die Welt zu erweitern und Menschen zu befähigen, sich an politischen Prozessen auf globaler Ebene zu beteiligen.

Abschließender Höhepunkt war eine öffentliche Podiumsdiskussion am 17. Mai 2024 in der Frankfurter Paulskirche. Vor über 250 Gästen, darunter Schüler*innen mehrerer Schulen aus Frankfurt, berichteten die Delegierten über ihren einwöchigen Austausch und diskutierten das Konzept Global Citizenship. Die Veranstaltung ermöglichte es den Delegierten, ihre Anliegen und Forderungen direkt zu äußern und einem breiten Publikum zu präsentieren.

Hinter den Kulissen: Ein Großprojekt planen

Die Organisation des Projektes bestand jedoch nicht nur aus der inhaltlichen Konzeption – zunächst mussten die 51 Delegierten im Alter zwischen 14–23 Jahren mit ihren Begleitungen von drei verschiedenen Kontinenten nach Frankfurt gebracht werden. Zuallererst musste die Projektkoordination jedoch die Partnerstädte und dortigen Jugendorganisationen von der Idee überzeugen: „Wir hatten den Vorteil, dass die Förderung der Städtepartnerschaft Teil der strategischen Ziele darstellt und wir an bestehende Kontakte in der städtischen Verwaltung anknüpfen konnten,“ berichtet Tina Cramer. Die Partnerstädte und dortigen Strukturen der Jugendarbeit wählten die Delegationen aus, die sich dann ab Januar 2024 in den gemeinsamen virtuellen Vortreffen zur inhaltlichen Konzeption trafen.

Wir haben darüber gesprochen, wie wichtig [...] zugängliche und sachliche Informationen und Politiker sind, die mit jungen Menschen zusammenarbeiten.

Laura, Toronto

Aber auch die digitalen Treffen waren nicht ohne Herausforderungen. Aufgrund der Zeitverschiebungen zwischen Asien, Europa und Nordamerika, den jeweiligen Schulzeiten und diversen anderen Verpflichtungen der Jugendlichen konnten nicht immer alle Delegierten an den Treffen teilnehmen. Die Lösung: Die Jugendlichen wurden anhand der Zeitzonen in Gruppen aufgeteilt und das gleiche Treffen fand gleich dreimal statt. Die Ergebnisse jedes Treffens hielt das Koordinationsteam schriftlich in einem gemeinsamen Dokument fest und präsentierte es der nächsten Gruppe. „Einmal haben wir uns sogar wegen der Zeitumstellung auf Sommerzeit, die in Europa und Nordamerika nicht gleichzeitig stattfindet, um eine Stunde verpasst,“ erinnert sich Tina Cramer. „Aber auch für uns waren die Vortreffen spannend: hier haben wir die Jugendlichen ja in ihren Heimatkontexten erlebt und konnten einen Eindruck in ihre Hintergründe gewinnen.“

In der inhaltlichen Gestaltung des Programms waren insbesondere die unterschiedlichen Erwartungen der Delegierten ein Balanceakt: Einerseits musste das Koordinationsteam ständig zwischen dem Ziel der Eigenverantwortung und Mitgestaltung der Jugendlichen sowie dem Wunsch nach mehr Anleitung und inhaltlicher Vorgabe moderieren. Andererseits mussten sie auch die Erwartungen der Jugendlichen managen: Zwar sollten die jungen Delegierten durch den Gipfel üben, Forderungen zu entwickeln und zu formulieren, diese würden aber nicht politisch bindend sein oder unmittelbar in ihren jeweiligen Heimatstädten eine Veränderung bewirken können.

Comic des Treffens mit verschiedenen Blasen. In der Mitte ist die Frankfurter Paulskirche gezeichnet, die von einigen Personen umgeben ist. Darüber steht Global House of Young Voices Summit 2024. Oben links steht Welcome to St. Pauls Church und ein Mann redet. Daneben steht Exchange with Frankfurt Mayor und man sind einige jugendliche Personen mit einem erwachsenene Mann sprechen. Daneben steht Certificates und man sieht vier Personen, die jeweils ein Blatt Papier in der Hand halten. Auf der linken Seite steht The Magic of exchange und Public Panel Discussion und man sieht eine Reihe von Personen, die sich unterhalten. Auf der rechten Seite steht Workshops, darunter sind einige kleine Symbole abgebildet.

Bild: Christa Fajen

Was bleibt? Große Träume und Mut im Gepäck

Umso wichtiger wurde die Einigung der Jugendlichen während der Konferenz, aus ihren Forderungen ein gemeinsames Strategiepapier zu entwerfen. In diesem Dokument hielten die Delegierten die Herausforderungen und Maßnahmen fest, die sie während der Konferenz gemeinsam erarbeiteten. Nach der Rückkehr in die jeweiligen Partnerstädte sollte das Abschlussdokument als Rahmen für künftige politische Diskussionen und Mitgestaltung dienen.

Ich war überrascht, dass es in vielen Ländern Jugendräte gibt. In Yokohama gibt es so etwas nicht. Ich möchte die Information verbreiten, dass wir als Jugendliche wirklich etwas verändern können: Wir können die sein, die die Welt verändern. Das klingt vielleicht extrem, aber wir tragen die Verantwortung, die Gesellschaft zu verbessern.

Sophia, Yokohama

In einer Welt, die von multiplen Krisen, globalen Konflikten sowie erstarkenden autoritären Tendenzen geprägt ist, zeigt das Global House of Young Voices, wie wichtig und wirkungsvoll der Dialog zwischen jungen Menschen aus verschiedenen Kulturen und Kontexten sein kann. Einander zuhören und die Bereitschaft, Perspektiven zu wechseln, sind wichtige Grundpfeiler für offene Gesellschaften, aber auch für globale Verständigung. Auch Stephen und Ivan fahren nach der Erfahrung in Frankfurt gestärkt wieder zurück nach Toronto und Birmingham. Der Austausch mit jungen Menschen aus der ganzen Welt, die ehrliche Diskussion von Problemen, die sie im Alltag betreffen, und das Erlebnis, gemeinsam mit Gleichgesinnten zu sprechen und ernsthaft gehört zu werden, motiviert sie, sich weiter zu engagieren: „Manchmal wirkt die Welt wie ein sehr gespaltener Ort, aber das Global House of Young Voices hat wirklich gezeigt, dass uns viel mehr verbindet als trennt,“ findet auch Ivan. (hfr)

Große Gruppe von Personen in Kirche vor Stufen und Orgel.

Foto: PRIF