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Review

PRIF Jahresbericht 2023Wie sprechen wir über diesen Krieg?

Frankfurter Ideen für den Frieden

Wie sprechen wir über diesen Krieg?

dunkelgrüne Papiertauben in verschiedenen Größen
Foto: PRIF

Mit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 ist die Gewalt in Israel und Gaza eskaliert. Auch in der öffentlichen und medialen Debatte in Deutschland ist der Krieg allgegenwärtig. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung wird zunehmend schärfer und unversöhnliche Lager scheinen einander gegenüberzustehen. Einmal mehr steht damit die Frage im Raum, wie dieser komplexe Konflikt thematisiert und ein Diskursraum geschaffen werden kann. PRIFs jährlich stattfindendes Transferformat „Frankfurter Ideen für den Frieden” versucht, Dialog und Austausch zu fördern. Im Dezember 2023 fand im Rahmen dieser Reihe ein Workshop mit Frankfurter Schüler*innen statt.

Der brutale Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 stürzte den Nahen Osten in eine tiefe Krise. Der andauernde Krieg in Gaza fordert tausende Opfer und über 100 israelische Geiseln befinden sich noch immer in der Gewalt der radikalislamischen Hamas. Der Konflikt beschäftigt nicht nur Politik und Wissenschaft, sondern befeuert auch die gesellschaftspolitische Debatte in Deutschland.

Dabei greift der aktuelle Diskurs auf Argumentationslinien zurück, die die Debatte um Israel und Palästina seit jeher prägen: Stehen auf der einen Seite die politischen Verantwortlichkeiten Deutschlands gegenüber Israel, erwachsen aus der historischen Schuld des Holocaust, verdeutlichen die Lehren der Vergangenheit auf der anderen Seite gerade die Universalität von Menschenrechten und Bedeutung des Internationalen Rechts. Darüber hinaus existiert im deutschen Diskurs ein durchaus ambivalentes Verhältnis zur arabischen Welt, welches durch islamophobe Stereotype gestärkt wird. Gleichzeitig bestehen antisemitische Kontinuitäten fort, während wiederum die Verkürzung de- und postkolonialer Deutungsmuster eine dualistische Gegenüberstellung und Einordnung in Freund-Feind-Schemata begünstigt. „Egal wie sehr man versucht eine differenzierte und ausgeglichene Position einzunehmen, es kommen immer Attacken von beiden Seiten,“ reflektiert Wissenschaftlerin Dr. Irene Weipert-Fenner.

Seit dem 7. Oktober lässt sich allerdings beobachten, dass der Diskursraum weiter schrumpft und die politischen Fronten verhärten. Der Umgang und Ton seien „deutlich rauer, schärfer und polarisierter geworden und das befördert Schubladendenken,“ resümiert Dr. Claudia Baumgart-Ochse. Dies erschwert allerdings nicht nur eine wissenschaftliche Betrachtung und Analyse, sondern verunmöglicht auch zunehmend eine konstruktive gesellschaftliche Debatte.

Dies schlägt sich auch im schulischen Kontext nieder, schließlich finden Auseinandersetzungen mit dem Krieg auch im Klassenzimmer, auf dem Schulhof oder im Lehrerzimmer statt. Wie kann dieser komplexen Situation im schulischen Kontext inhaltlich begegnet werden? Wie kann aber auch dem lebensweltlichen Interesse von Schüler*innen Rechnung getragen werden und wie können ihr Gesprächsbedarf, ihre Fragen, aber auch ihre Emotionen adressiert werden?

Es fehlt häufig an differenziertem Wissen zu Konfliktgeschichte oder bisherigen Lösungsversuchen. Historisches Wissen ist der Schlüssel, um das aktuelle Geschehen einzuordnen.

Claudia Baumgart-Ochse

Umso wichtiger werden vor diesem Hintergrund Bildungsformate, die der destruktiven Streitkultur mit einem informierten Dialog und einem offenen Diskurs begegnen. Zu diesem Zweck organisierte der Wissenstransfer des PRIF im Dezember gemeinsam mit einer Frankfurter Schule das Gesprächsformat „Frankfurter Ideen für den Frieden“. Begleitet von zwei Wissenschaftlerinnen, Dr. Claudia Baumgart-Ochse und Dr. Irene Weipert-Fenner, widmeten sich im Dezember 2023 zwei Politikkurse der Oberstufe dem aktuellen kriegerischen Konflikt in Israel und Gaza.

Infobox

Frankfurter Ideen für den Frieden

Im Rahmen des Transferformats kommen hessische Schüler*innen und Frankfurter Stadtgesellschaft mit Wissenschaftler*innen des PRIF zu ausgewählten Themen ins Gespräch, können Fragen stellen und gemeinsam diskutieren. Die jährliche Dialogveranstaltung ist Teil der politischen Bildungsarbeit des PRIF. Seit 2020 wird die Veranstaltungsreihe im Rahmen des PRIF@Schule – Netzwerk organisiert. Vergangene Veranstaltungen thematisierten u. a. Populismus und Radikalisierung, den Einsatz in Afghanistan oder den russischen Angriff auf die Ukraine.

Anhand bereitgestellter Materialien konnten sich die Schüler*innen bereits im Vorfeld mit dem Konflikt, seiner Historie und der Einbettung in die regionale Ordnung des Nahen und Mittleren Ostens vertraut machen. Auf Basis des Hintergrundwissens gestaltete sich die eigentliche Veranstaltung im Rahmen einer Doppelstunde dann in erster Linie als Raum für Austausch, Fragen und Diskussion. „Es war uns wichtig, den Dialog außerhalb der Schule zu suchen und das Gespräch aus dem benoteten Schulkontext herauszuholen,“ betont Yvonne Blum, Referentin für Wissenstransfer am PRIF. „Obwohl die Lehrkräfte teilnehmen, sind sie angehalten nur zuzuhören und keine Fragen zu stellen. So können wir für die Schüler*innen Druck reduzieren.“

Der Workshop richtet sich nicht an schulischen Lernzielen aus und auch die begleitenden Wissenschaftler*innen geben lediglich einen thematischen Rahmen vor. Innerhalb dieses Rahmens ist dann Platz für die Fragen und Diskussionsbeiträge der Schüler*innen, genauso wie für Kontroverse und Emotionen, sodass sie den weiteren Verlauf des Workshops anhand ihres zuvor erarbeiteten Wissens selbstständig gestalten können. Der Workshop soll sie ermutigen, sich über ihre vielfältigen Fragen und Perspektiven auszutauschen. „Die Schüler*innen bringen je nach ihrem eigenen Kontext unterschiedliche Diskussionsfragen mit. Deshalb ist es wichtig, ihnen das Gefühl zu geben, dass ihre Perspektive auch gesehen wird,“ fasst Dr. Irene-Weipert-Fenner zusammen.

Die Wissenschaftler*innen übernehmen indes keine lehrende Rolle. Stattdessen begegnen sie den Schüler*innen auf Augenhöhe und moderieren das Gespräch: Sie begleiten den Austausch, beantworten Fragen und ordnen Aussagen inhaltlich ein. „Es geht nicht darum, als allwissende Expertin aufzutreten und eine fertige Lösung zu präsentieren,“ betont Weipert-Fenner. Stattdessen können die Wissenschaftler*innen in dem dialogischen Format auch selbst etwas lernen. „Das kritische Reflexionspotential der Schüler und Schülerinnen war beeindruckend. Zu hören, was sie beschäftigt ist auch ein spannender Input für mich und meine Forschung,“ reflektiert Dr. Claudia Baumgart-Ochse.

Wie können wir junge Menschen stärker im gesellschaftlichen Diskurs sichtbar machen? Wenn wir die vielfältigen Perspektiven im Diskurs zulassen, kommen wir vielleicht auch weg von der Polarisierung.

Irene Weipert-Fenner

Anders als bisherige Veranstaltungen der Reihe, fand der diesjährige Workshop allerdings ohne Beteiligung der Öffentlichkeit statt. „Unser Ziel war es, in der Veranstaltung eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle Schüler*innen wohlfühlen“, erklärt Yvonne Blum. „Andererseits war es uns wichtig, auch unseren Wissenschaftler*innen bei diesem sensiblen Thema einen geschützten Raum zu bieten.” Schließlich können Diskussionen in der polarisierten Debatte schnell unsachlich werden und Beleidigung oder Hass nach sich ziehen.

Dementsprechend geht es in Transferformaten auch darum, eine Praxis des Dialogs zu etablieren, die Bereitschaft zeigt, unterschiedlichen Perspektiven zuzuhören, aber sich wissenschaftlichen Fakten gegenüber genauso offen verhält und selbstkritisch mit der eigenen Position umgeht. So können vereinfachende Schemata reflektiert und polarisierende Denkmuster hinterfragt werden, während zugleich die Komplexität des Konflikts mit seinen Zwischentönen sichtbar gemacht wird. Zur Unterstützung dieses Prozesses ist eine konstruktive Gesprächsmoderation zentral, die sowohl einordnet als auch eingreift: Fehlinformationen müssen aufgeklärt werden und jegliche menschenverachtenden, antisemitischen wie islamophoben Narrative dürfen nicht widerspruchslos bleiben. Weder das Existenzrecht des israelischen Staates, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen noch der Maßstab des Internationalen Rechts stehen zur Debatte.

PRIF@Schule – Netzwerk Friedensforschung und Bildungspraxis

Im Netzwerk arbeiten Lehrkräfte, Akteur*innen der Bildungspraxis und Wissenschaftskommunikation sowie Wissenschaftler*innen in regelmäßigen themen­bezogenen Treffen und Projekten zusammen, um den dialogischen Wissenstransfer zwischen friedenspädagogischer Bildungspraxis und wissenschaftlicher Forschung zu stärken. Yvonne Blum, Laura Friedrich und Dr. Stefan Kroll koordinieren das Netzwerk.

Eine Herausforderung besteht hingegen in der zum Konfliktgeschehen fast zeitgleichen Verbreitung ungefilterter Informationen über soziale Netzwerke. Schüler*innen werden hier nicht nur mit einer großen Informationsflut konfrontiert, sondern auch mit teils expliziten und verstörenden Bildern aus dem Kriegsgebiet. Zwar können Gesprächsformate als wissenschaftliches Korrektiv Orientierungswissen mitgeben. Jedoch können diese wichtigen Transferformate hier auch an ihre Grenzen stoßen. Schließlich ist es in der Kürze der Zeit und angesichts dynamischer Entwicklungen im Konfliktgeschehen nicht immer möglich, gesicherte Informationen zu erhalten, um auf dieser Basis differenzierte und evidenzbasierte Aussagen zu treffen. Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, Medienresilienz und kritische Analysefähigkeit von Schüler*innen zu stärken, wenn sie sich in digitalen Räumen aufhalten.

Transferformate können die großen Herausforderungen des Krieges für Forschung, politische Praxis und gesellschaftlichen Diskurs nicht abschließend bearbeiten. Allerdings bieten sie der Erfahrungswelt von Schüler*innen im Gespräch Raum, bringen ihren Perspektiven Wertschätzung entgegen und können gegenseitiges Verständnis stärken. Damit weisen sie einen ersten Schritt, um die Entmenschlichung in der Debatte zu durchbrechen und zu einem empathischen und konstruktiven Diskurs zu finden. (hfr)