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Review

PRIF Jahresbericht 2022Inseln der Kooperation suchen

Internationale Institutionen in der Krise

Inseln der Kooperation suchen

Umrisse verschiedener Länder aus Landkarten, die wie Inseln angeordnet sind

Welche Faktoren bestimmen darüber, ob das Ausscheiden eines Staates aus einer Institution einen Konflikt weiter eskaliert oder nicht? Darauf fokussierte das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Drifting Apart: Internationale Institutionen in der Krise und das Management von Dissoziationsprozessen“, das 2022 erfolgreich mit einem Special Issue abgeschlossen wurde.

Internationale Institutionen sind in der Krise. Immer wieder distanzieren sich einzelne Staaten von gemeinsamen Regeln und Werten und scheren aus einer gemeinsamen Institution aus. Diese „Dissoziationsprozesse“ vollziehen sich in unterschiedlichen Formen, sei es, dass ein Staat sich aus einer Institution zurückzieht oder ausgeschlossen wird (wie z. B. beim Brexit oder auch Trumps Austritt aus dem internationalen Klimaschutzabkommen), sei es, dass ein Staat zwar formal in der Institution verbleibt, sich aber de facto nicht mehr an deren Normen und Regeln hält (wie z.B. die Distanzierung Russlands aus der europäischen Sicherheitsarchitektur spätestens ab 2007) oder dass ein Staat alternative Institutionen errichtet wie z.B. China und seine neuen Handelsabkommen mit den BRICS-Staaten.

Was aber sind die Folgen solcher Trennungen? Wie wirkt sich der Trennungsprozess auf das Verhältnis zwischen den scheidenden und den in der Institution verbleibenden Staaten aus? Wie in einem Scheidungsprozess können solche Trennungen zu einer Verschärfung der Konflikte und der Differenzen führen. Fragen nach der Schuld an der Trennung und den dadurch verursachten Kosten, ein grundsätzliches Infragestellen der Institution, Kränkungen und Differenzen aus der Vergangenheit können zu einer Eskalation führen. Auf der anderen Seite wäre auch eine Entspannung denkbar. Man geht getrennte Wege, ordnet noch bestehende Verpflichtungen und sorgt für Ausgleich. So könnte man sich zum Beispiel beim Austritt eines Staates aus einer internationalen Organisation auf Ausgleichszahlungen einigen, um den Ausfall seiner Beiträge abzufedern. Über Entschädigungen und Ausgleichsleistungen könnte man schließlich einen Schlussstrich ziehen und entspannter miteinander umgehen.

Je nachdem, wie Staaten diese Trennungsprozesse managen, werden die Weichen gestellt für die zukünftigen Beziehungen und die Sicherheitsarchitektur.

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Drifting Apart: Internationale Institutionen in der Krise und das Management von Dissoziationsprozessen“ setzt seinen Fokus auf das Wie der Dissoziationsprozesse. Nicht die Frage nach dem Warum der Krise der internationalen Institutionen steht im Vordergrund, sondern die Fragen: Welche Faktoren bestimmen, ob die Spannungen und Entfremdungen eskalieren zwischen verbleibenden und ausscherenden Staaten? Wie wirken sich Trennungsprozesse auf das Verhältnis der Staaten zueinander aus?

Im Rahmen des Leibniz-Forschungsverbunds „Krisen einer globalisierten Welt“ ging ein PRIF-Forscher*innenteam zusammen mit Kolleg*innen aus drei anderen Forschungsinstituten in einer vergleichenden explorativen Studie diesen Fragen nach. Fünf teils historische, teils aktuelle Dissoziationsprozesse bearbeitete das Team:

  • den Niedergang der Sicherheitskooperation zwischen Russland und dem Westen seit dem Jahr 2000,
  • das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU,
  • den Aufbau alternativer Institutionen durch die BRICS-Staaten in der internationalen Finanzkooperation,
  • den Zerfall des Warschauer Pakts,
  • das Ausscheren des Iran aus der Kooperation mit dem Westen seit Ende der 70er Jahre.

Am Anfang ihrer Forschung stand die Hypothese, dass es zwei Arten von Konflikten gibt in Dissoziationsprozessen, ideelle und Verteilungskonflikte, und dass insbesondere ideelle Konflikte ein großes Eskalationsrisiko in sich tragen. Diese Vermutung konnten die Wissenschaftler*innen bestätigen, aber es gelang ihnen, noch weitere Mechanismen zu identifizieren, die zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen Staaten durch Dissoziationsprozesse führen und damit ihr Management erschweren. Nach drei Jahren Projektarbeit stellten sie in einem Special Issue erste Ergebnisse vor.

Um eine Ideologisierung von Konflikten zu verhindern, ist es wichtig, nicht nur auf die Durchsetzung der eigenen Werte zu pochen, so problematisch das auch manchmal sein mag, gerade für den Westen.

Dirk Peters

Diese bieten wenig Grund für Optimismus. In den meisten Fällen führen die Loslösungsprozesse zu einer Intensivierung des Konflikts. Die Loslösung ist oft in eine schon immer konflikthafte Beziehung eingebettet, der Ausstieg aus der Kooperation ist nur ein weiterer Beitrag zu diesem Konflikt. Und es besteht fast immer die Tendenz, den Konflikt zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zu machen. Oft erschwert innerstaatlicher Druck eine friedliche Regelung, ein Sündenbock muss gefunden werden, um Kosten und Nachteile zu rechtfertigen. Selten gelingt es, die Trennung auf der Verteilungsebene zu behandeln und so durch Entschädigungen und Ausgleichszahlungen einen Schlussstrich zu ziehen.

Bei einem der untersuchten Fälle glückte der friedliche Übergang in eine normalisierte Beziehung, zumindest für eine gewisse Zeit: der Ausstieg der DDR aus dem Warschauer Pakt. Auch hier gab es innerstaatliche Zwänge, der sowjetische Präsident Gorbatschow stand unter gewaltigem Druck, sich nicht auf Verhandlungen einzulassen. Aber es gelang ihm, sich darüber hinwegzusetzen und mit der Bundesrepublik Vereinbarungen über reichhaltige Entschädigungen zu treffen. Es war also grundsätzlich möglich, in der Verhandlungssituation den Konflikt über Vereinbarungen auf materieller Ebene zu lösen und sich nicht auf Wertediskussionen einzulassen. Voraussetzung war allerdings der politische Mut Gorbatschows. Im Nachhinein betrachtet darf aber nicht verschwiegen werden, dass es ihm nicht gelang, eine heimische Koalition zu schmieden, die den Abschluss mittrug und unterstützte. Im Politbüro schwelte der Konflikt weiter mit den bekannten Folgen.

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Die Ideologisierung eines Konflikts gießt immer Öl ins Feuer, illustrativ hierfür ist das Beispiel Iran und sein Ausscheren aus der Kooperation mit dem Westen ab den 70er Jahren. Die hochideologisierte Auseinandersetzung mit den USA führte zu ständigen Reibereien und Kriegsdrohungen. Die Bundesregierung dagegen verfolgte weiter ihre Geschäfte mit dem Iran, geriet so nie in eine Hochspannungslage, musste sich aber dem Vorwurf der Doppelmoral stellen.

Was heißt das nun für das Management zukünftiger Konflikte? Und heißt das zwangsläufig, dass eigene Normen in den Hintergrund treten sollten, um eine Eskalation zu vermeiden? Einfache Antworten kann die Wissenschaft nicht bieten. Die Forscher*innen plädieren dafür, Inseln der Kooperation zu suchen. Es muss verhindert werden, dass eine Beziehung nur noch unter einem Aspekt wahrgenommen wird und die Überzeugung entsteht, dass man wegen grundsätzlichen ideologischen Differenzen niemals kooperieren kann. Dann ist der Krieg nicht mehr weit. Wichtig ist es stattdessen, Bereiche auszumachen, in denen noch gemeinsame Interessen existieren, die dann zu partieller Kooperation führen können. Auf keinen Fall sollten die Werte, die ein Regime vertritt, ausschlaggebend für alle Gebiete der Kooperation sein. Das muss in der Konsequenz nicht heißen, die eigenen Werte nicht mehr zu vertreten, sondern man vermeidet, die gesamte Beziehung unter den Maßstab dieser Werte stellen. So sollte beispielsweise durchaus für Menschenrechte eingetreten werden, aber ohne den Anspruch, sie in einem anderen Land durchzusetzen. Man kann sie thematisieren und auch Werbung für sie machen, sollte aber nicht aufhören, mit einer Regierung zu interagieren, weil sie anderen Normen folgt, sonst landet man schnell bei einer Polarisierung der Beziehung und zwischenstaatlichen Konflikten.