Wie wirken Sanktionen?
Mit ihrem Angriffskrieg auf die Ukraine hat die russische Führung Leid und Zerstörung über die Menschen im Land gebracht. Zugleich erschüttert die Aggression die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung. Die Auswirkungen des Krieges sind weiterhin weltweit zu spüren. Das Friedensgutachten 2022 nahm zu zentralen Fragen Stellung: Was hat zu diesem Krieg geführt und welche Möglichkeiten gibt es, der Logik von Konfrontation, Gewalt und Krieg zu entkommen?
Die Empfehlungen der Herausgeber*innen an die Bundesregierung legten dar, wie der Politik der Spagat zwischen Wehrhaftigkeit und Druck auf der einen und Friedensfähigkeit auf der anderen Seite gelingen könnte. So lag auch der Fokus im Friedensgutachten auf der Notwendigkeit eines neuen Konzepts europäischer Sicherheit nach der „Zeitenwende“. Dieses sollte Verteidigungsfähigkeit mit einer langfristigen Perspektive auf zukünftige kooperative Sicherheitsstrukturen und dauerhaften Frieden verbinden.
Erfolg und Misserfolg von Sanktionen
Das Friedensgutachten unterstrich in seinem Kapitel 4 „Institutionelle Friedenssicherung“ gezielte Sanktionen als wirkmächtiges politisches Mittel – wenn sie in den Kontext einer Gesamtstrategie eingebettet werden. In den letzten Jahren haben die EU und Deutschland zunehmend Sanktionen oder die Androhung von Sanktionen genutzt. Die Sanktionen, die der Westen bereits kurz nach dem Angriff auf die Ukraine gegen Russland verhängt hat, sind in ihrer Härte und in der Geschwindigkeit ihrer Umsetzung jedoch präzedenzlos. Gemeinsam mit den Waffenlieferungen an die Ukraine bilden sie den Versuch, eine Niederlage der Ukraine zu verhindern, ohne direkt in den Krieg einzugreifen. Als außenpolitisches Instrument sollen sie so dem Zweck dienen, Druck auf den russischen Aggressor auszuüben und ihn zu ernsthaften Verhandlungen zu bewegen. Die Sanktionen gegen Russland sind also Teil einer übergreifenden Strategie.
Sanktionen gegenüber Großmächten wie Russland führen dabei nicht unmittelbar zu Verhaltensänderungen. Sie können stattdessen mittel- und langfristig ihre Wirkung entfalten, indem sie Handlungsspielräume einschränken, so die Ausführungen im Friedensgutachten. Dabei sollen sie auch als normatives Mittel begriffen werden, um andere Staaten davon abzuhalten, ebenfalls die internationalen Regeln zu verletzen.
Sanktionen allein können zudem keine Krisen lösen und im schlechtesten Fall sogar Notlagen verschärfen und politische Repression und Korruption befördern. Deshalb hielten die Wissenschaftler*innen fest: Sanktionen sind nicht voraussetzungs- oder kostenlos. Um ihren Zweck zu erfüllen, müssen ihre Ziele klar kommuniziert werden, so dass Erfolgskontrollen möglich sind. Weiterhin müssen sie im Sinne einer wertebasierten Außenpolitik klare Exit-Strategien und Zwischenziele umfassen sowie eine umsichtige Kalkulation humanitärer Folgen, um sicherzustellen, dass Sanktionen die Ausgangslage nicht weiter verschlechtern. Koordiniert wurde Kapitel 4 von Nicole Deitelhoff und Anton Peez, weiterhin waren von Institutsseite Pascal Abb und Christopher Daase beteiligt.
In weiteren Kapiteln beschäftigen sich die Autor*innen des Friedensgutachtens mit den Herausforderungen friedlicher Konfliktbearbeitung, mit der Bedeutung von feministischer Außenpolitik, mit Eskalationsrisiken des nuklearen Rüstungswettlaufs und der ambivalenten Stellung von Sicherheitsinstitutionen in Demokratien.
Das Friedensgutachten
Das Friedensgutachten ist die seit 1987 jährlich erscheinende Publikation, die PRIF gemeinsam mit dem Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen herausgibt. Die führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute analysieren darin aktuelle internationale Konflikte, zeigen Trends der internationalen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik auf und geben klare Empfehlungen für die Politik. Interdisziplinäre Autor*innenteams aus Politikwissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Physik und Religionswissenschaften arbeiten zusammen an den fünf wiederkehrenden Themenkapiteln und bringen dabei verschiedene Blickwinkel ein: Bewaffnete Konflikte, Nachhaltiger Frieden, Rüstungsdynamiken, Institutionelle Friedenssicherung und Transnationale Sicherheitsrisiken. Die Redaktionsleitung hat Dr. Claudia Baumgart-Ochse inne.
Das Friedensgutachten im Diskurs
Mit dem Friedensgutachten verfolgen die beteiligten vier Friedensforschungsinstitute das Ziel, durch konkrete Handlungsempfehlungen für Bundestag und Bundesregierung ein zentrales Medium für den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft anzubieten. Die im Anschluss auf die Vorstellung bei der Bundespressekonferenz folgenden Termine bei Fraktionen und Ministerien, im Bundeskanzleramt und Bundespräsidialamt sind fest etabliert und der Austausch gegenseitiger Expertise wird beidseitig geschätzt. So kann konstruktiv zu aktuellen Fragen beraten und auch kritisch über die Empfehlungen diskutiert werden. Über Veranstaltungen in Kooperation mit Stiftungen, Kultur- und Bildungsstätten, den Kirchen und Zentralen für politische Bildung wird gleichzeitig gezielt der Dialog mit der Öffentlichkeit gesucht.
Medial fand das Friedensgutachten auch 2022 große Resonanz. Neben zahlreichen Berichterstattungen etwa in etablierten Printmedien und im Hörfunk, wurde das Friedensgutachten in einem speziellen Themendossier von ZDF heute verarbeitet und im reichweitenstarken Podcast JUNG&naiv besprochen.