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Review

PRIF Jahresbericht 2022Gender, Diversität, Konflikt

Feministische Friedensforschung

Gender, Diversität, Konflikt

Grafische Darstellung verschiedener weiblich gelesener Personen
Bild: Alexey_Hulsov, Pixabay

Gender, Diversität und Konflikt ist ein vergleichsweise junges Querschnittsthema in der Forschung von PRIF. 2022 hat sich in diesem Bereich einiges bewegt: Eine PRIF-Blogreihe versammelt seit 2022 diverse feministische Perspektiven. Ein neues Projekt erforscht den Umgang mit Rückschritten bei der Realisierung gendersensibler Menschenrechte im Peacebuilding. Nicht zuletzt war feministische Friedensforschung auch Thema im Friedensgutachten und weiterer Aktivitäten im Bereich Politikberatung und Transfer.

Die Auswirkungen von Kriegen und Konflikten können sich für Menschen je nach Geschlecht und sexueller Orientierung stark unterscheiden. Beispielsweise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden die geschlechtsspezifischen Rollen im Krieg stark diskutiert. So sind überwiegend Frauen, oft mit Kindern oder älteren Angehörigen, auf der Flucht, während Männer das Land nicht verlassen dürfen. Diese unterschiedlichen Dynamiken lassen sich erst mit einem geschlechtsspezifischen Fokus erkennen. Gleichzeitig dient feministische Forschung dazu, häufig unhinterfragte Klischees aufzubrechen. Auch am Beispiel der Ukraine zeigt sich, dass Frauen im Krieg nicht nur Opfer sind. Einerseits übernehmen sie Pflegetätigkeiten und sind besonders vulnerabel, wenn Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt wird. Andererseits füllen sie aber auch eine Vielzahl von Rollen aus, z.B. als Kämpferinnen, Aktivistinnen und Verhandlerinnen.

Besonders hart wirken sich Kriege häufig auf Personen aus der LGBTIQ* Community aus. Auch Personen, die entlang anderer Dimensionen diskriminiert werden, beispielsweise aufgrund rassistischer Zuschreibungen oder wegen einer Behinderung, sind besonders gefährdet. Deshalb reicht der Blick auf Geschlecht allein nicht aus. Eine intersektionale feministische Analyse, das heißt eine Analyse, die verschiedene Formen von Diskriminierung und Mehrfachdiskriminierung in den Blick nimmt, eröffnet eine Vielzahl neuer Perspektiven auf die Themengebiete in der Friedens- und Konfliktforschung.

Feministische Friedensforschung: Reihe auf dem PRIF Blog

Seit Mai 2022 versammelt die Reihe „Feministische Friedensforschung“ auf dem PRIF Blog feministische Perspektiven auf eine Vielzahl von Themenfeldern. Die Reihe wird von Simone Wisotzki und Victoria Scheyer in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Wissenschaftskommunikation herausgegeben. Die Analysen auf dem Blog betreffen z.B. Bereiche wie Außen- und Sicherheitspolitik, Menschenrechte, Flucht und Migration, sowie gesellschaftspolitische Fragen und soziale Gerechtigkeit.

Die Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“ (UN-Resolution 1325) fordert die Mitgliedstaaten der UN dazu auf, Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten besonderen Schutz zu gewähren und die politische Teilhabe von Frauen in Friedensverhandlungen, Konfliktmediation und im Wiederaufbau zu stärken. Zur Umsetzung stellt jedes Land einen eigenen Nationalen Aktionsplan auf. Doch was bedeutet es, den Nationalen Aktionsplan an die Bedürfnisse einer Bevölkerung im Krieg anzupassen? Der Beitrag von PRIF-Forscherin Hanna Manoilenko beleuchtet, wie diese Aufgabe in der Ukraine während des Angriffskriegs angegangen wird und formuliert Empfehlungen an die internationale Gemeinschaft.

Auch der Beitrag von Gastforscherin Xie Peixuan fokussiert die Agenda „Frauen, Frieden, Sicherheit“. Der Staatsstreich in Myanmar 2021 verursachte Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt. Xie Peixuan zeichnet in ihrem Artikel die feministischen Widerstandsbewegungen nach und argumentiert, dass die UN-Resolution 1325 nicht ausreicht, um den Kampf effektiv zu unterstützen.

Die am PRIF assoziierte Forscherin Farnaz Dezfouli-Asl wirft in ihrem Beitrag einen Blick auf die Proteste im Iran. Der Kampf um Frauenrechte, so argumentiert sie, verbindet dabei ganz unterschiedliche Gruppen und soziale Klassen und dient als Ausgangspunkt für eine viel breitere Bewegung, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fordert.

Im Jahr 2022 sind die ersten acht Beiträge erschienen, die Reihe wird 2023 weitergeführt.

Friedensgutachten 2022: Wie kann feministische Außenpolitik gelingen?

Unter dem Titel „Gender, Diversität und Gewalt“ befasst sich auch das zweite Kapitel des Friedensgutachtens 2022 mit feministischen Perspektiven auf Konflikte und Friedensförderung. Die Autor*innen, darunter die PRIF-Forscherinnen Simone Wisotzki, Victoria Scheyer und Clara Perras, weisen auf die Rolle geschlechtsspezifischer Gewalt auf allen Ebenen hin, angefangen bei häuslicher Gewalt bis hin zu zwischenstaatlichen Konflikten. Darüber hinaus formulieren sie Erfolgsbedingungen für eine feministische Außenpolitik.

Damit feministische Außenpolitik gelingen kann, so die Autor*innen im Friedensgutachten, muss sie es vermeiden, Geschlechterstereotype und Rassismen zu reproduzieren. Dazu gehören nicht nur traditionelle Geschlechterrollen, wie die Charakterisierung von Frauen als „Opfer“ ohne eigene Handlungsmacht. Auch eine paternalistische Auffassung von Entwicklungszusammenarbeit, welche die Welt in „Geber“ und „Nehmer“ unterteilt, muss vermieden werden.

Patriarchale Strukturen sind eng verbunden mit militärischen Logiken. Daher kann die breite gesellschaftliche Akzeptanz solcher normativen Vorstellungen von Geschlechterrollen dazu dienen, einen imperialen Führungsanspruch zu legitimieren, wie sich am Beispiel der russischen Politik zeigen lässt. Doch die Autor*innen weisen darauf hin, dass es auch in den NATO-Staaten Defizite gibt. Schließlich braucht es im Gegenzug auch eine feministische Innenpolitik.

Ohne feministische Innenpolitik ist gesellschaftlicher Frieden gefährdet und feministische Außenpolitik nicht glaubwürdig.

Friedensgutachten 2022, S. 85

Interview mit Simone Wisotzki

Simone Wisotzki

Dr. habil. Simone Wisotzki ist Projektleiterin am Programmbereich „Internationale Sicherheit“. Sie forscht zu humanitärer Rüstungskontrolle, Rüstungsexporten und Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung.

  1. Seit März 2022 arbeiten Sie an dem Projekt „Widerstände und Rückschritte in der Realisierung von gendersensiblen Menschenrechten im Peacebuilding“, das von der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) gefördert wird. Worum geht es?

    Wir haben verschiedene Akteur*innen danach gefragt, inwieweit sie in Ihrer täglichen Projektarbeit Widerstände und Rückschritte erleben, wenn es darum geht, geschlechtersensible Menschenrechte in der Friedensförderung umzusetzen. Wir waren doch erstaunt und entsetzt, wie umfangreich diese Widerstände ausfallen und gerade die Aktivist*innen häufig Gewalt bis hin zu Todesdrohungen erfahren. Geschlechtersensible Friedensarbeit erlebt erhebliche Rückschritte und das weltweit!

  2. Der Begriff „Feministische Außenpolitik“ hat in den letzten Jahren deutlich an Prominenz gewonnen. Sehen Sie hier Fortschritte?

    Es ist gut, dass mit der feministischen Außenpolitik die Problematik von Geschlechterhierarchien und Ungleichheiten mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt. Doch die feministische Außenpolitik ist nur so gut wie ihre konkrete Umsetzung. Deutschland muss hier noch erheblich mehr tun. Es fehlt auch eine feministische Innenpolitik. Hierzu gehört auch eine Migrationspolitik, die geschlechtsspezifische Fluchtursachen berücksichtigt. So werden gerade in Afghanistan Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert, vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und bei Widerstand mit dem Tod bedroht. Aber auch LGBTIQ* sind weltweit gefährdet und entschließen sich aufgrund dieser geschlechtsspezifischen Gefährdung zur Flucht.